
Ich bemerke – wie ihr sicherlich auch – seit einigen Jahren nun schon, eine sich ausdehnende soziale Kälte unter den Menschen.
Wie ein schleichendes Gift breitet sie sich überall auf der ganzen Welt aus.
Sie pflanzt sich leise aber stetig fort wie ein loderndes Lauffeuer.
Egoismus und Individualismus: Wie viel Kälte kann eine Gesellschaft ertragen?
Die Menschen sind egoistischer, Ego-zentrierter geworden.
Jeder ist sich selbst der Nächste. Man will alles nur noch für sich allein und möchte seinen eigenen Vorteil herausschlagen. Doch vor allem: All dies, aber ohne Rücksicht auf die Folgen für Andere. Für die (Um-)Welt.
Diese vergiftete Einstellung dehnt sich über alle Lebensbereiche aus.
Auf der einen Seite sieht man es im Alltagsgeschehen: Die Menschen werden rücksichtsloser – zum Beispiel beim Autofahren. Jeder achtet nur noch auf sich selbst. Fällst du aus der Reihe, weil dein Reifen platzt, oder Gott bewahre – dein Wagen abwürgt – werden die Leute zuverlässig ein aggressives Hupkonzert anstimmen. Das kennt wohl jeder von uns.
Keine Sekunde verschenken.
Ja, Zeitmangel wird wohl seinen kleinen Anteil an den Ursachen der gesellschaftlichen Erkaltungs-Dynamik beigetragen haben. Er zwingt die Menschen zu gnadenloser Fokussierung und Effizienzdenken. Wie auch sein Vater – der kompetitive Kapitalismus…
Weitere einschlägige Beispiele für die Auskühlung unserer Gesellschaft findet man in den Kommentarspalten der sozialen Medien. Dieser Hass, dieser verrohte Umgang miteinander. Schnürt mir die Kehle zu.
Einen Lebensmittelladen kann man wie ich finde, kaum noch unbedarft besuchen. Wegen der anderen Einkaufenden dort…
Schubsen, Drängeln, Aggressionen. Vorweihnachtszeitliches Stress-Hasten – das ganze Jahr über.
Auf jeden Fall kennen wohl die Meisten von euch solche Alltagsphänomene des zunehmenden Egoismus.
Nationalismus und Rechtsruck: Wie Politik Gesellschaften spaltet
Auf der anderen Seite wütet seit Jahren (nicht nur) in unserer europäischen Nachbarschaft Krieg. Basierend auf Habgier und ethno-genozidialem Gedankengut.
Vor einigen Jahren hörte man zunächst nur vereinzelt die Berichte von zunehmendem Nationalismus einzelner Parteien- dann einzelner Regierungen – dann gesamten Staaten und deren Bevölkerungen.
Erst hielt ich vieles davon für vorübergehende Verhaltensmechanismen. Reaktionismus aus Fremdenangst. Unter Anderem als Antwort auf die zunehmenden Fluchtbewegungen in der Welt.
Doch wurde schnell erkennbar, wie der Rechtsruck in allen Parlamenten kontinuierlich zunahm.
Wie die Gesellschaften einst so liberaler Länder plötzlich nationalistische, fremdenfeindliche Gruselkabinette ihre Regierungen bilden ließen.
Auch aktuell in unserem Land droht uns unmittelbar so ein Gruselkabinett.
Ich habe das Gefühl, dass alles, was wir uns als westliche Kultur an bedeutenden Werten aufgebaut haben, wie (Welt-)Offenheit, Toleranz, Güte, Nächstenliebe und Fortschrittlichkeit – gerade wie ein Häuflein Asche wieder in sich zusammen fällt.
Pufff– war alles nur heiße Luft.

Geflüchtete in der sozialen Kälte: Die menschliche Tragödie
Das zeichnete sich schon bei der „Flüchtlingskrise“ in 2015 ab. Wir Deutschen rühmen uns sehr gerne und gönnerhaft mit unserer wohltätigen Ader. Doch als dann die Vielen kamen, unsere Hilfe dringend brauchten und wir wohltätig hätten sein sollen, wurde es schwierig. Warum? Weil dies zu Teilen eine Wohltätigkeit erforderte, die uns eigene Entbehrungen abverlangt hatte.
Ich möchte hier an dieser Stelle natürlich deutlich betonen, dass es auf jeden Fall damals eine große Base an Helfenden gegeben hat. Sie waren grandios.
Aber die Mehrheit der Deutschen war schockiert, weil ihre Kinder nun teilweise keinen Sport mehr in der Turnhalle machen konnten, weil da Menschen schlafen mussten.
Oder dass sich in den Städten plötzlich so viele neue fremd-aussehende Fremde aufhielten. Das störte ihr Bild vom Stadtbild.
Die Gönnerhaftigkeit schlug gesellschaftlich um. Und das macht sie bis heute.
Gerade in den ärmeren Schichten unserer Gesellschaft vernimmt man es besonders lautstark.
Wenn jemand mit deutschen Wurzeln aus geringer Einkommensschicht zu mir in die Arbeitsvermittlung bei der Arbeitsagentur kommt und in die prekäre Lage der Arbeitslosigkeit geraten ist, weiß ich in der Regel schon zu Gesprächsbeginn, dass gleich eine Hasstirade über die Ausländer*innen folgen wird. Diese seien an der Misere der*sjenigen Schuld. Diese bekämen viel mehr Hilfen als er/sie. Und der Staat vergäße seine eigenen Leute.
Auch diese – absolut nicht haltbare Idee1 – gewinnt zunehmend an Raum.
Dieses Phänomen, diese Ideen gab es schon einmal. Sie waren einst der Grund, warum die NSDAP so hohen Zuspruch erlangen konnte.
Das Verschwinden der Menschlichkeit in der Politik
Zu schaffen macht mir zum Einen dieses abgrenzende, nationalistische, egozentrische gesellschaftliche Vereisen der Gesellschaften. Zum anderen aber die politischen Auswüchse dieser giftigen Eiswolken.
So gibt es seit so vielen Jahren nun das politisch gewollte Ertrinken lassen von Geflüchteten auf den Mittelmeerrouten. Unterstützt durch Verträge mit verbrecherischen Hilfsmilizen antidemokratischer Regime. Alles im Sinne des Schutzes vor Fremden.
By the way, kennt ihr das Narrativ – Schutz vor Überfremdung? Man hört es häufig von rechten, aber auch konservativen Ideolog*innen in Deutschland. Was soll das bitte sein – Überfremdung? Hat man Angst, dass den Menschen die Aspekte anderer Kulturen so gut gefallen, dass man sie in seine eigene Integriert?
Bergische Kaffeetafel ab jetzt mit Baklava dazu? Ist das Überfremdung? Ich glaube Überfremdung ist schlichtweg unmöglich. Kulturen ergänzen sich zu einem wunderbaren Blumenstrauß von Möglichkeiten und Erfahrungsschätzen für Wege, wie man Dinge erfolgreich lösen kann.
Jedenfalls gibt es nun In Deutschland innereuropäisch wieder Grenzkontrollen.
Na super! Wie gesagt: Weltoffenheit: Puffff…
Sehr enttäuscht bin ich hierbei auch von den doch bisher sozial ausgerichteteren Parteienkollegen.
Es gab Zeiten, in denen immer klar war, dass soziale Parteien versucht haben, Schutzsuchende an Landesgrenzen aufzunehmen, und ihnen zu helfen. Momentan beugen sie sich rechten Narrativen und sprechen selbst davon, dass wir geordneter Abschieben sollten.
Abschieben. Abschieben. Abschieben. Die Grenzen vor den gefährlichen Ausländer*innen schützen.
Mauern hochziehen und unseren Wohlstand für uns selbst sichern. Denn wenn sie kommen, nehmen sie uns alles weg. Sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Sie nehmen uns den Wohlstand weg. Bullshit! Wohl eher das Gegenteil ist der Fall2.
Warum werden die Gesellschaften egoistischer, nationalistischer?
Mauern. Grenzen. Zäune.
Mauern der Angst davor, etwas von seinem persönlichen Komfort abgeben zu müssen. Für Andere.
Andere, die schlichtweg Schutz brauchen und auf ein besseres Leben hoffen. Die niemandem etwas wegnehmen wollen.

Es ist so traurig, dass gerade auch wir Deutschen (wieder) so zu denken begonnen haben. Denkt auch mal daran, wie viele von uns damals Flüchtende sein mussten.
Ich kann die Ursachen der Angst ein Stück weit versuchen nachzuvollziehen. Es gab auch für uns viele Entbehrungen in der jüngsten Zeit nach der Pandemie etc. Aber im Vergleich? Wohl kaum.
Vor so Vielem werden die Augen verschlossen.
Wir behandeln Menschen unmenschlich. Aus reiner Feigheit und Angst.
Kaum jemand weiß zum Beispiel in Deutschland, was Abschiebung dann tatsächlich in seiner Konsequenz eigentlich bedeutet.
Abschiebung heißt – nachts holen sie dich ab. Du kannst noch schnell das Allernötigste packen und dann wirst du an der Grenze raus gelassen. Mit nichts. Keiner Wohnung, keinem Anschlussverfahren irgendeiner Art. Arrivederci – viel Spaß im Herkunftsland.
Durch uns provozierte Obdachlosigkeit und Armut.
Vor dem Horror an den europäischen Außengrenzen verschließen wir die Augen.
Vor dem Horror in den Herkunftsstaaten und den Ursachen der Fluchtbewegungen verschließen wir die Augen.
Vor unserer absoluten Mitschuld, wenn nicht sogar Hauptschuld an den Fluchtursachen verschließen wir die Augen. Hashtag kapitalistische Ausbeutung. Hashtag Zerstörung der Umwelt.
De facto nimmt die westliche Welt immer mehr Gräueltaten in Kauf unter dem Deckmantel ihres
eigenen Schutzes.
Wie haben wir unsere Menschlichkeit verloren?
Wie kann so etwas funktionieren? Wie können vermeintlich aufgeklärte, neuzeitliche Gesellschaften großangelegtes Massensterben zulassen? Wie können Sie unhaltbare Lebensumstände in Flüchtlingslagern über Jahre, Rückführungen in Terrorregime, oder in Folterlager der Transitstaaten dulden und zulassen?
Das geht. Immer dann wenn der Eine denkt, dass der Andere ein weniger wertiger Mensch ist als der Andere.
Wenn man denkt: Ich bin ein westlicher Mensch, der das Leben hier und im Wohlstand verdient hat (weil ich zufällig und eigenleistungsfrei hier rein geboren bin) und du nicht, du bist nur ein schmarotzender Wirtschaftsflüchtling.
Wenn man glaubt: Du bist nur ein Flüchtling, getarnt als Islamist, der Terroranschläge im Herzen trägt und unsere Frauen schlecht behandelt möchte. Du hast es nicht verdient in unser Land aufgenommen zu werden. Wenn du im Meer ertrinkst, ist das nicht sooo schlimm. Du bist ja nur einer von den vielen lebensmüden Narren da draußen. Hättest es ja besser wissen können und schön Zuhause bleiben.
Diese Idee: Du bist als Mensch weniger wert als ich/wir – macht alles möglich.
Du bist doch nur ein Anhänger einer anderen Religion als der Meinen und einzig Wahren. Dich kann ich im Krieg ruhig töten. Ihr seid keine richtigen Menschen.
Ihr, die ihr einem anderen Volk angehört als meinem, seid weniger Wert als Menschen meines Volkes. Euch und eure Familien kann man ruhig vernichten.
Du bist doch nur eine Frau. Dich kann ich ruhig schlagen. Ich bin schließlich ein Mann.
Klingt mittelalterlich? Klingt absurd?
Nein, dass ist es – das sanfte Gift, dass die Köpfe der Menschen benebelt und all den Wahnsinn möglich macht.

Das passiert. Und passiert. Und passiert.
Und wir wissen alle, wie hervorragend dieser Mechanismus funktioniert. #die Ermordung von 6 Millionen Juden während der Nazizeit.
Lernen wir Menschen da wirklich nie dazu?
Alle Menschen sind gleich. Klingt verrückt….. Ist aber so.
Kein Eichhörnchen, Pferd oder Meerschweinchen würde je auf die Idee kommen ein Anderes als weniger Wert, als weniger Lebenswert einzustufen. Wieso bekommen wir Menschen seit Jahrtausenden diesen Unsinn nicht aus dem Kopf?
Im Gegenteil, wir fahren gerade wieder kräftig auf mit der Idee.
Leute, wir gehören alle zusammen. Wir sind alle verbunden. Wir können voneinander lernen und wir können nebeneinander und miteinander existieren. Wir alle. Ganz wunderbar.
Wir geben dadurch nichts von uns auf. Wir verlieren rein gar nichts. Wir gewinnen nur dazu3.
Darum bitte ich euch inständig darum, euch einmal kräftig zu schütteln und zu rütteln. Und all die rechten Gedanken, die euch bisher gestreift haben, abzuschütteln und eure Herzen wieder weit zu öffnen.
Weg von all dem Ego-Zentrismus. Weg von dem Klein Klein. Wir sind alle verbunden.
Wir sind alle gleich. Wir brauchen einander.
Wie siehst du die Entwicklung der sozialen Kälte in unserer Welt? Teile deine Gedanken in den Kommentaren!
- https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/faktencheck ↩︎
- https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/fb01-einfluss-zuwanderung.pdf?__blob=publicationFile&v=12 ↩︎
- ihttps://www.diw.de/de/diw_01.c.905086.de/nachrichten/darum_ist_zuwanderung_die_grundlage_fuer_unseren_wohlstand.html ↩︎

